Lebensabenteurer: 2014 aufgebrochen, um einmal zu Fuß um die Welt zu wandern – und jetzt?

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Im Rahmen unserer Redaktionsarbeit stiessen wir auf Heiko Gärtner von lebensabenteurer.de

Er sagt von sich selbst:

Ich bin Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem ich einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet habe, gab ich diesen Job auf, um meiner wahren Berufung zu folgen. Ich wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich meine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert ich zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Siehe auch

Aufmerksam wurden wir auf seinen Partner Franz von Bojur und ihn respektive die „Lebensabenteurer“ mit Ihrer Geschichte

Ein Interview:

Ihr seid 2014 aufgebrochen, um einmal zu Fuß um die Welt zu wandern und lebt nun in einem kleinen Ort im Norden von Schweden. Wie kam es dazu?

Das ist richtig! Wir haben viele Jahre lang Seminare und Fortbildungen für Menschen gegeben, die auf der Suche nach ihrem Lebensweg und ihrer persönlichen Lebensaufgabe waren. Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass wir uns selbst diese Frage schon lange nicht mehr gestellt haben. Also haben wir den Stimmen in unseren Herzen wieder zugehört und uns daran erinnert, dass wir bereits als kleine Kinder davon geträumt haben, als Forscher, Entdecker und Abenteurer um die Welt zu ziehen. Das haben wir dann auch getan und so sind wir am 01.01.2014 von meinem Elternhaus aus losgezogen, um uns die ganze Welt zu Fuß anzuschauen.

Wir waren dann etwas über sechs Jahre lang unterwegs und haben in der Zeit nahezu jedes Land in Europa durchwandert. Dann kam 2020 der erste große Lockdown und wir saßen für über drei Monate in einem kleinen Dorf im Norden von Frankreich fest. Zum Glück war es ein schönes Dorf und wir durften dort in einer kleinen Pilgerwohnung leben, die wir vom Pfarrer gestellt bekamen. In dieser Zeit wurde uns bewusst, dass eine längere Phase folgen würde, in der das Reisen, so wie wir es gewohnt waren, nicht mehr möglich sein würde.

Wir brauchten also einen Plan B und suchten uns dafür einen Ort, an dem wir ganz in Ruhe leben konnten, an dem es Natur und Stille gab und an dem wir uns auf unsere späteren Reiseetappen vorbereiten können. Denn auch wenn wir aktuell in Schweden wohnen, haben wir die Pläne einer Weltumwanderung nicht aufgegeben, sondern lediglich vertagt. Es war ohnehin klar, dass früher oder später eine Zeit kommen würde, in dem wir uns ein Begleitfahrzeug bauen müssen, um auch dünnbesiedelte Regionen bereisen zu können. Da passte die durch Corona verordnete Zwangspause sogar ganz gut, denn sonst hätten wir das wahrscheinlich noch viel zu lange hinausgezögert.


Wandern um die Welt


Warum habt ihr euch für Schweden entschieden?

Nachdem wir nahezu jedes Land in Europa zumindest ein bisschen kennengelernt hatten, stellten wir uns jetzt zunächst die Frage, welches Land für unsere Pläne unter den gegebenen Umständen am besten geeignet war. Natürlich gab es viele Länder, in denen wir uns ein sesshaftes Leben auf Zeit gut vorstellen konnten. Unsere Favoriten waren Griechenland, Slowenien, Montenegro, Frankreich, Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland.

Dass es am Ende dann Schweden geworden ist, lag vor allem an drei Faktoren. Zum ersten ist Schweden ein riesiges Land mit relativ wenigen Menschen, was in Zeiten einer globalen Pandemie ein großer Vorteil ist. Je weniger Menschen an einem Ort leben, desto weniger können sich Panik und Krankheiten verbreiten. Zum zweiten gelang es uns, hier relativ schnell einen günstigen Platz aufzutreiben, an dem wir leben, arbeiten und unser Reisemobil ausbauen können. Und drittens wollten wir schon immer mal einen arktischen Winter erleben, mit Polarlichtern, Schneemassen, extremen Minus-Temperaturen und allem was dazugehört.


Wie war es, nach sechs Jahren Dauerwanderung in Schweden anzukommen und dort sesshaft zu werden?

Am Anfang wirkte es vollkommen surreal. Als wir unser Haus in Schweden erreichten, waren wir ja sogar bereits knapp sieben Jahre auf Wanderschaft. Denn auch den Weg von Frankreich bis Nordschweden legten wir komplett zu Fuß zurück. Unsere Wanderung führte uns bis zu unserem neuen Eigenheim und als wir dort ankamen, traf uns erst einmal der Schock. Wir wussten, dass wir keine Luxusvilla gekauft hatten, aber wir hatten auch nicht damit gerechnet, dass es so schlimm sein würde.

Als wir ankamen, gab es in dem Haus weder Strom noch fließend Wasser, dafür aber noch die Essensreste der Vorbesitzer von vor über drei Jahren. Das Haus war zuvor mit einer Razzia zwangsgeräumt worden, weil die früheren Besitzer in ganz großem Stil Cannabis für den Weiterverkauf angebaut hatten. Wobei sie selbst auch zu ihren besten Kunden gehört hatten. Dementsprechend verwahrlost war alles bei unserem Eintreffen. Es gab nicht einmal einen Haustürschlüssel, da die Eingangstür von der Polizei aufgebrochen und später einfach zugeschraubt worden war.

Im Nachhinein betrachtet, war das für uns jedoch alles gar nicht so verkehrt. Sieben Jahre lang hatten wir ja überwiegend in Gemeindehäusern und öffentlichen Gebäuden übernachtet und aufgrund des katastrophalen Zustand unseres Hauses wurden wir auch hier zunächst wieder von der Kirchengemeinde im Ort aufgenommen. Wir brauchten etwas mehr als zwei Monate, um das Haus so weit herzurichten, dass man sich darin wirklich wohlfühlen konnte und in dieser Zeit durften wir im Gemeindehaus der Kirche duschen, arbeiten, kochen und hin und wieder sogar übernachten. Damit hatten wir also gewissermaßen einen fließenden Übergang zwischen unserem Leben als Vagabunden und unserer neuen Sesshaftigkeit. 

Außerdem stellte sich heraus, dass das Haus zwar übel aussah, dass ihm im Grunde aber nichts fehlte. Viel putzen, einiges an neuen Tapeten, neuer Farbe, Gardinen, Bodenbelägen, Möbelfolien und Einrichtungsgegenständen machten daraus ein wunderbares Eigenheim, in dem wir inzwischen wirklich gerne wohnen. Vor allem, seit wir nun auch noch eine Infrarotkabine im Keller haben.


Welche Vor- und Nachteile würdet ihr sagen, hat Schweden als Auswanderungsland?

Das ist natürlich immer auch zu einem großen Teil eine Geschmacksfrage. Wer in ein anderes Land auswandern möchte, sollte sich daher zunächst einmal die Frage stellen, was ihm wichtig ist und was er erreichen will. Schweden bietet viel Freiraum in jederlei Hinsicht. Es gibt, anders als in Deutschland, jede Menge Möglichkeiten, an Orten zu leben, an denen man das Gefühl bekommt, der einzige Mensch auf dem Planeten zu sein. Man kann aber auch in einen kleinen Ort ziehen und hier sein eigenes Ding machen, ohne sich vor den Nachbarn rechtfertigen zu müssen.

Das Motto “leben und leben lassen” gehört nach unserer Erfahrung sehr stark zur schwedischen Mentalität. Wer hier keinen Kontakt will, der muss auch keinen haben. Dies kann man natürlich auf der anderen Seite auch als Nachteil empfinden, wenn man sich eine engere Gemeinschaft und Integration wünscht. Die Schweden wirken auf den ersten Blick oft abweisend, kalt und unnahbar. Wenn man sie näher kennenlernt und sie ihre anfängliche Skepsis verlieren, wandelte sich das und man kann sehr gute Freunde finden. Wir haben auch auf unserer Reise bereits viele Menschen kennengelernt, die super hilfsbereit und freundlich waren und ohne die unser Projekt niemals möglich gewesen wäre. Auch hier im Ort wären wir ohne die Hilfsbereitschaft der Einheimischen nie zurechtgekommen. Aber man darf nicht unbedingt ein überschwängliches Willkommen erwarten, wenn man hier neu in einen Ort kommt.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Klima hier in Schweden. Es ist definitiv kein unwirtliches Land und wir haben vor allem die kalten Wintermonate lieben gelernt. Aber trotzdem darf man nicht vergessen, dass man hier in der Nähe des Polarkreises lebt. Der Süden Schwedens ist da noch etwas anders und er unterscheidet sich vom Wetter her noch nicht stark von Norddeutschland. Aber in unseren Breiten dauert der Winter in der Regel volle sechs Monate und Temperaturen mit -30 °C sind nicht ungewöhnlich. Im Sommer gibt es etwa zwei Monate, in denen es keinen Moment lang dunkel wird und die kürzesten Wintertage haben nur vielleicht drei oder vier Stunden Sonnenlicht. Natürlich immer abhängig davon, wo in Schweden man lebt, denn das Land ist wie gesagt riesig. 

Was uns persönlich in Bezug auf die klimatischen Verhältnisse am meisten stört, dass man hier nur sehr schlecht etwas anbauen kann und auch nur wenig Nahrung in der Natur findet. Im Herbst gibt es jede Menge Beeren und Pilze, aber darüber hinaus wird es dann auch schnell mau. Ohne Gewächshaus wollten gerade einmal ein paar Salatköpfe und einige Radieschen wachsen, der Rest scheiterte kläglich. Aber das ist sicher auch eine Erfahrungssache. 

Distanzen sind hier riesig. Wenn Etwas hundert Kilometer entfernt ist, liegt es praktisch um die Ecke. Daher werden Entfernungen hier auch in schwedischen Meilen und nicht in Kilometern gerechnet. Dadurch klingt es dann nicht mehr so weit. 


Wie ist es von der organisatorischen Seite? Kann man einfach so nach Schweden auswandern, oder gibt es etwas Spezielles zu beachten?

Der große Vorteil an Schweden ist, dass es ein EU-Mitgliedsstaat ist und man sich daher beliebig lange als dort aufhalten kann, wenn man einen europäischen Pass hat. Man kann sich auch ohne weiteres ein Haus in Schweden kaufen, und zwar sowohl um dauerhaft darin zu wohnen, als auch um es als Ferienhaus zu nutzen.

Wie gesagt, Schweden ist ein sehr weitläufiges Land und wenn man dort hinzieht, ohne dass man sich offiziell anmeldet, wird sich niemand daran stören, solange man weder einen schwedischen Job annimmt, noch etwas vom Sozialstaat bekommen möchte. Dennoch ist es durchaus ratsam, sich offiziell anzumelden, wenn man dauerhaft herziehen möchte und wenn man hier auch einen Job annehmen oder seine Kinder in einer Schule anmelden möchte, ist es sogar notwendig.

In diesem Fall bekommt man dann auch eine schwedische Personennummer, die man zwar nicht unbedingt benötigt, die aber vieles einfacher macht. Internetverträge abschließen oder ein Konto eröffnen, zum Beispiel.


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A pros pros Schule: Wie ist es für Familien mit Kindern? Würdet ihr sagen, dass sich Schweden für sie als Land zum Auswandern anbietet?

Auch hier ist es natürlich eine Geschmacksfrage und hängt auch davon ab, wohin man zieht. Wer in eine Stadt ziehen möchte, wird sich nach dem Auswandern nicht allzu sehr umstellen müssen. Es wird wahrscheinlich etwas ruhiger und ich würde behaupten, auch etwas sicherer werden. Zumindest in den meisten größeren Städten, die wir bereist haben, waren wir erstaunt, wie sauber und gepflegt sie aussahen.

In Helsingborg zum Beispiel, der Stadt, in der wir ganz am Anfang mit unserer Fähre anlandeten, gibt es einen Park, in große Luftpolster als Sitz- und Schlafmöglichkeit herumliegen. Wir waren uns sicher, dass es in Deutschland und in den meisten anderen Ländern keine drei Tage dauern würde, bis jemand sie zersticht oder anderweitig beschädigt, aber hier gab es keinen einzigen, der auch nur beschmiert worden war. Ähnlich ist es mit Kinderspielzeug, das oft frei auf den Spielplätzen herumliegt und von jedem genutzt werden darf, ohne dass jemand es klaut oder kaputt macht.

Sogar Tischtennisbälle liegen parat. Das wäre woanders undenkbar. Also, wir haben es natürlich nicht probiert, aber rein vom äußeren Eindruck wirkt Schweden schon auf uns wie ein Land, in dem man seine Kinder gut aufwachsen lassen kann. Je nachdem, wohin man zieht, kann es aber natürlich auch sein, dass man sehr lange Schulwege oder sogar für Schüler der Oberstufen eine eigene Wohnung in der nächsten Stadt in Kauf nehmen muss. Auf dem Land ist es zudem sehr ruhig. Wir lieben das und für jeden, der seine Kinder naturnah erziehen möchte, ist das ein sehr gutes Umfeld. Aber wer etwas mehr Action braucht, der kann sich hier auch schnell langweilen und in Gefahr geraten, die fehlende äußere Abwechslung mit übermäßigem Medienkonsum auszugleichen. Das ist uns sowohl bei den Einheimischen, wie auch bei Zuwanderern nicht selten aufgefallen.

Was Sprache und Schule anbelangt, bietet sich Schweden aber ebenfalls durchaus an. Das Schulsystem hier gilt als vorbildlich und auch wenn es sicher seine Schwächen hat, kann es mit dem deutschen zweifelsfrei mithalten. In der Übergangsphase kommt man gut mit Englisch zurecht und da sich Schwedisch und Deutsch relativ ähnlich sind, können vor allem Kinder die Sprache schnell und gut lernen. Alles in allem würde ich also sagen, dass Schweden durchaus ein familienfreundliches Land ist, gerade auch für Auswanderer.


Wie sehen eure weiteren Pläne aus? Ihr meint, eure Reise sei noch nicht zu Ende, wie lange werdet ihr also in Schweden bleiben, bevor es euch wieder weiter treibt?

Das ist eine gute Frage und die Antwort hängt aktuell weniger von unseren Reisewünschen sondern viel mehr von unseren Baukünsten ab. Im April kommt die große Ladung mit allen Materialien, die wir im letzten Jahr für unser Expeditionsmobil organisiert haben und die zunächst einmal in Deutschland in unserem Hauptlager untergebracht wurden. Wenn alles hier ist, geht es mit voller Kraft daran, den alten, rostigen Container in unserem Vorgarten in ein funktionstüchtiges und komfortables Mobilheim zu verwandeln.

Wir hoffen, dass wir das im Verlauf des Sommers fertig schaffen. Wenn alles klappt, werden wir den kommenden Winter nutzen, um uns Skandinavien noch einmal genauer anzuschauen. Es kann ja schließlich nicht sein, dass wir als eingefleischte Abenteurer hier in den Norden ziehen, ohne auch nur einmal das Nordkap gesehen zu haben!
Und dann müssen wir natürlich schauen, wie es um die weltweite Situation in Bezug auf Reisebestimmungen, Grenzöffnungen und dergleichen steht. Davon wird unsere Reiseroute abhängen, aber das sehen wir dann, wenn es so weit ist!


Werdet ihr Schweden vermissen, wenn ihr wieder weiter zieht?

Auf jeden Fall! Es gibt hier vieles, das einem auf die Nerven gehen und über das man sich beschweren kann. Schweden ist definitiv kein Paradies, in dem nur Milch und Honig fließt. Aber es ist ein Land mit Charakter, das uns bereits jetzt sehr ans Herz gewachsen ist. Ob wir uns oft nach heißen Stränden, einem Bad im Meer oder einer Wanderung durch einen Canyon sehnen?

Ohne jede Frage! Aber genauso oft werden wir später an die ruhige und friedliche Zeit hier zurückdenken, an die weiten Wälder, die wunderschönen Polarlichter und die einzigartige Winter-Wunder-Welt, wenn hier alles mit Schnee bedeckt ist. Ich würde nicht sagen, dass wir jedem empfehlen würden, nach Schweden auszuwandern, aber wir empfehlen es definitiv jedem, sich das Land einmal anzuschauen und vor allem, hier einmal einen Winter zu erleben.

 

Danke Heiko, für das inspirierende „Gespräch“ und weiterhin viel Erfolg mit euren Unterfangen!

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